Statue der Muttergottes mit Jesuskind vor der Kathedrale von Hanoi (Quelle: Eustaquio Santimano) |
Eines Tages begab sich P. Dronet, Missionär in Hanoi, in die Kirche, um dort Beicht zu Hören. Vor der Tür der Sakristei wartete auf ihn eine schon betagte unbekannte Frau.
„Vater“, so sagt sie gleich, „ich möchte beichten; es sind jetzt über 40 Jahre, dass ich es nicht mehr getan.“ Ein verirrtes Schäflein, dachte der Pater, und schickte in der Meinung, die Alte habe inzwischen ihre Religion ganz vergessen, zu den Schwestern, damit sie ihr bei der Vorbereitung hälfen. Aber es fand sich, dass die Alte die christlichen Wahrheiten noch sehr gut kannte und wohl vorbereitet war.
Tags darauf erfuhr der Pater ihre Geschichte. Sie hieß Anna Nhä und gehörte zur Mission der spanischen Dominikaner in Zentral-Tonking. Während der Verfolgung der 1860er Jahre war sie gefangen nach China entführt und an einen reichen Chinesen verkauft worden. Umsonst suchte sie mehrmals zu entfliehen; sie erregte dadurch nur den Zorn ihres Herrn. Schließlich gab sie sich in ihr Schicksal und wurde gut behandelt.
Im Herzen blieb sie ihrem Glauben treu und betete täglich zu Gott und zur Mutter des Herrn um Schutz und vorab um die Gnade, vor ihrem Tod noch einmal beichten zu können.
Ihr Gebet wurde erhört. Während sie einst in einem entfernten Marktflecken sich befand, wurde das Dorf mit allen seinen Häusern und Bewohnern von einer Springflut weggefegt. Sie war also frei und sofort entschlossen, nach Tonking zurückzukehren. Sie begab sich auf den Weg, erreichte in achttägiger Wanderung einen Hafenort am Meer und schiffte sich nach Häphong ein. Von dort begab sie sich nach Hanoi und suchte sofort den Priester auf, um wieder einmal zu beichten.
Sie hatte in China heimlich 40 kleine sterbende Heidenkinder getauft.
Eine ganz ähnliche Geschichte erzählt ein anderer Missionär gleichfalls von einer Frau. Auch sie war im Jahre 1896 an einem Markttage von einem chinesischen Kinderhändler entführt worden. Derselbe zog sie auf und verkaufte sie dann für 30 bis 40 Mark an reiche Chinesen. In der Zwischenzeit mussten die kleinen Gefangenen durch harte Arbeit ihr Brot verdienen.
Während der Nacht wurden sie alle eingesperrt. Ein erster Fluchtversuch wurde durch empfindliche Züchtigung, ein zweiter durch den Tod bestraft. Die Schuldigen wurden in Gegenwart der anderen enthauptet und die Leichen ins Meer geworfen.
Die Frau hatte sechs solchen Hinrichtungen beigewohnt. Eines Tages musste sie einige Büffel zum Markt treiben. Von einem Hügel aus sah sie eine annamitische Barke auf dem Meer. Sie rief dieselbe an, wurde an Bord genommen und kam so glücklich in ihre Heimat zurück. Auch sie hatte den Glauben treu bewahrt.
(Aus: die katholischen Missionen, 1911)