Auch das dunkle Afrika hat seine heiligen Stätten, wo der Fuß des Erlösers gewandelt ist, und der christliche Geist weilt mit umso liebevollerer Innigkeit bei ihnen, als sie ihn an die ersten Schritte des heranwachsenden Jesuskindes erinnern.
An der großen Straße, welche Ägyptens moderne Hauptstadt mit der alten „Sonnenstadt“ Heliopolis verbindet, etwa 10 km von Kairo und 1 km von Heliopolis entfernt, liegt der sogenannte Balsamgarten. Ehemals zog man hier den Balsamstrauch, der Judäa den kostbaren Balsam lieferte. Einer uralten Überlieferung zufolge soll nun hier die heilige Familie während ihres Aufenthaltes in Ägypten gewohnt haben. Auf das Gebet der allerseligsten Jungfrau sei dann, so erzählt die Legende, ein Fruchtbarkeit spendender Quell dem Boden entsprungen.
Nur 20 m von der Quelle entfernt, breitet eine alte Sykomore ihr schattiges Geäst aus. Es ist der sog. „Baum der allerseligsten Jungfrau“. Auf der Flucht, so meldete die fromme Sage weiter, sei die heilige Familie, von Verfolgern gedrängt, an einer dicken Sykomore vorübergekommen. Da habe sich der Stamm so weit geöffnet, dass die heiligen Personen mitsamt dem Reittier darin Platz gefunden hätten, und der Baum habe sich um alle geschlossen, bis die Bösewichte vorbeigezogen waren. Beide, Baum wie Quelle, werden heute noch gezeigt.
Letztere, welche sich in einem Ziehbrunnen sammelt, ist wegen ihrer wunderbaren Frische weitbekannt und mag wohl die einzige eigentliche Quelle Ägyptens sein, die sich nicht aus durchgesickertem Nilwasser ergänzt.
Soviel ist sicher, dass die Überlieferung diese Stelle immer mit der heiligen Familie in Verbindung brachte. Die Christen der ersten Jahrhunderte hatten da eine große Kirche zu Ehren der allerseligsten Jungfrau erbaut, und noch alljährlich begehen die Kopten das Kirchweihfest des alten Gotteshauses, obwohl dasselbe schon längst in den Stürmen des Schismas eines Dioskoros untergegangen ist.
Beim Graben der Fundamente der jetzigen Kirche stieß man auf mächtige Hausteine, welche dem alten Gotteshause angehörten. Nach dem Eindringen des Islams erbauten venezianische Kaufleute eine ärmliche Kapelle, die aber auch schon seit zwei Jahrhunderten in Trümmern liegt.
Seit einigen Jahren nun zeigt ein neues würdiges Heiligtum dem Pilger die Stelle an, wo die heilige Familie im Lande Ägypten gewohnt hat. Es ist das Werk der im Kolleg der heiligen Familie zu Kairo wirkenden französischen Jesuiten und besonders P. Julliens, der sich um die Erforschung der mit der Heiligen Schrift und der Kirchengeschichte in Verbindung stehenden Stätten so hohe Verdienste erworben hat.
Schon von ferne grüßt aus der Mitte der Fassade auf rotem Marmorgrund dem Pilger die Inschrift entgegen: Sanctae familiae in Aegypto exsuli (Der heiligen Familie in ihrer ägyptischen Verbannung geweiht).
Dieses Wort bringt denn auch die Idee zum Ausdruck, welche der Ausführung des schönen Heiligtums zu Grunde gelegt ist. So rufen die beiden eng aneinander liegenden Rundbogenpforten, wie man sie wohl bei Synagogen findet, die zwei Tafeln des alttestamentlichen Gesetzes ins Gedächtnis, unter dem die heilige Familie während ihrer Verbannung lebte.
Anlehnend an die Legende, wonach bei der Ankunft des Heilandes die Götzenbilder von Heliopolis stürzten, wurden die tiefen Fundamente aus Ziegeln und Scherben des alten Sonnentempels von Heliopolis gelegt. Das Innere, ohne Reichtum, aber in schöner Einfachheit und Lichtfülle, strahlt in lieblichen, ruhigen Tönen den Frieden und die Reinheit wieder, welche die heilige Familie nach Ägypten gebracht. In einer Nische über dem Hochaltar, umrahmt von harmonisch angeordneten Bogen, Gewölben und Skulpturen, umleuchtet von mildem, bläulichen Scheine, thront die Gruppe der heiligen Familie, das Werk eines Lyoner Meisters.
Zwei Seitenaltäre zieren liebliche Statuen des hl. Antonius von Padua und des hl. Stanislaus Kostka, beide mit dem Jesuskind auf dem Arm.
Am 8. Dezember des Jubliäumsjahres der Unbefleckten Empfängnis nahm der Apostol. Präfekt des Nildeltas unter zahlreicher Beteiligung von Pilgern aus Kairo und Umgebung die feierliche Weihe des Heiligtums vor. Eine Widmungstafel aus Marmor soll kommende Geschlechter daran erinnern, wie aus dem Vaterland Verbannte der verbannten heiligen Familie dieses Denkmal gesetzt. Sie trägt die Inschrift :“Französische Ordensleute durch die gegenwärtige Verfolgung vertrieben, weihen als Zeichen der Liebe und Hoffnung auf ihre Rückkehr ins Vaterland der verbannten heiligen Familie dies Heiligtum.“
Die Verehrung der heiligen Stätten hat im Laufe der letzten Jahre einen bedeutenden Aufschwung genommen. Ordensgemeinden, Bruderschaften, Vereine und Privatpersonen Kairos pilgern zu der heiligen Kapelle von Matarieh, und die Pilger nach dem Heiligen Land strömen in Scharen herbei, um die Ablässe zu gewinnen, welche an den Besuch des Heiligtums geknüpft sind.
Vor einem Jahre reihte nämlich der Heilige Vater die Kapelle von Matarieh den heiligen Stätten zweiter Ordnung ein, so dass dieselbe, was Würde und Vorrechte betrifft, den Heiligtümern von Tabor, der Werkstätte des hl. Joseph, der Kreuzauffindungs- und Mariä-Heimsuchungskirche, dem Josephs- und Unschuldig-Kinder-Altar in der Grotte von Bethlehem usw. ebenbürtig zur Seite steht.