Cassian Spiß O.S.B. am Tag seiner Bischofsweihe (dritter von links) |
Der Aufstand der Eingebornen-Stämme in Deutsch-Ostafrika steht noch in frischer Erinnerung und scheint jetzt noch nicht ganz verglimmt. Er brachte für die St. Benediktus-Missionsgesellschaft eine Erneuerung der Tage von Pugu, die 1888 die deutsche Missionsgründung so blutig eingeleitet hatten. An der Spitze seiner kleinen Missionskarawane sank hier am 14. August der Apostol. Vikar von Süd-Sansibar, Bischof Cassian Spiß O.S.B., von der Lanze eines wilden Häuptlings getroffen, zum Tode nieder. Wir haben die Einzelheiten des schmerzlichen Vorfalls bereits früher berichtet und bieten hier nur einen schlichten Kranz der Erinnerung.
Geboren zu St. Jakob am Arlberg, am 12. Juli 1866 als Sohn einfacher Landleute, absolvierte Franz, das war sein Taufname, am fürstbischöflichen Gymnasium zu Brixen „mit Auszeichnung“ seine Studien und wirkte nach seiner Priesterweihe mehrere Jahre als Kooperator zu Sellrain, Umhausen und Längefeld im Ötztal. Aber den Sohn der Berge zog ein höheres Heimweh nach den Heidenländern, wohin so mancher wackere Tiroler ihm vorausgewandert. Im Missionshaus von St. Ottilien fand der tüchtige, auch wissenschaftlich befähigte Priester freudige Aufnahme. 1892 legte P. Cassian, wie er jetzt hieß, seine Gelübde ab, und im Herbst 1893 sah er die Küsten Afrikas, das Land seiner Sehnsucht, vor sich auftauchen. Wie er in St. Ottilien das Muster eines regeltreuen Ordensmanns gewesen, so war er hier auf den Stationen Dar es Salam und Kurasini das Vorbild eines eifrigen, anspruchslosen Missionärs, wie ihn zumal eine noch in der Entwicklung begriffene Mission fordert.
Bereits als Gymnasiast hatte Spiß ein ungewöhnliches Sprachtalent bekundet. Es kam ihm hier vortrefflich zu statten, und sein Kihehe-Wörterbuch, zu dem er in unermüdlichem Fleiß die Bausteine sammelte, und das 1900 in den Mitteilungen des Seminars für orientalische Sprachen zu Berlin erschien, brachte der Mission und der Sprachwissenschaft zugleich einen wertvollen Gewinn. Auch später als Bischof noch blieb er auf diesem Gebiet tätig.
1898 wurde P. Cassian mit der Gründung der neuen Missionsstation Peramiho im Inneren beauftrag und löste die schwierige Aufgabe mit ebenso viel Geschick als Ausdauer. 1902 begleitete er den Apostol. Präfekten zum Generalkapitel seiner Genossenschaft in Europa. Er benutzte die Gelegenheit, um in der frischen Luft der heimatlichen Berge seine angegriffene Gesundheit zu stärken. Hier erreichte ihn die Nachricht seiner Ernennung zum ersten Bischof des neu errichteten Apostol. Vikariats Süd-Sansibar. Am 18. August 1902 sah das Mutterhaus die Bischofsweihe; Spiß war der erste Bischof der Genossenschaft. Seine dreijährige Wirksamkeit in dem jungen Missionssprengel war eine sehr gesegnete. Rastlos, die Strapazen der mühsamen Wanderungen nicht achtend, besuchte er die weit entlegenen Stationen, um den Neubekehrten zum ersten Mal die Kraft des Heiligen Geistes zu bringen und überall ratend, helfend, ermunternd, tröstend den Aufbau und Ausbau der kräftig aufblühenden Mission zu fördern.
Mitten auf einer dieser apostolischen Wanderungen ereilte ihn der allzu frühe Tod. Die auf mehrere Monate berechnete Rundreise sollte die im Süden gelegenen Missionsstationen berühren, wohin der Aufstand noch nicht gedrungen schien. In Kilwa erhielt er von der dortigen Bezirksbehörde die erste Warnung. Wenn er trotzdem, vertrauend auf seinen priesterlichen Charakter und unter dem Schutz von ca. 60 Trägern, welche das Bezirksamt mit zwölf Gewehren und 300 Patronen ausgerüstet hatte, den Weitermarsch wagte, so war das sein volles Recht und kann ihm nicht zum Vorwurf gereichen. Tatsächlich kam der Überfall auch den Behörden völlig unerwartet, war also keineswegs vorhergesehen. Sieben volle Tagemärsche war man ungefährdet vorgedrungen, als am 12. August die Schreckenskunde von dem Überfall der Militärstation Liwale die Karawane erreichte. Sämtliche Träger machten sich während der Nacht aus dem Staub, und so fand sich der Bischof mit seinen Begleitern, 2 Brüdern, 2 Schwestern und 2 schwarzen Boys schutzlos der Gefahr einer Begegnung mit den Aufständischen ausgesetzt. Gestärkt durch den Empfang der heiligen Sakramente zog die kleine Schar ihrem Geschick entgegen, das sie am Morgen des 14. August in einsamer Wildnis ereilte. Es war der Tod eines Soldaten auf dem Schlachtfeld, ein Tod, wie ihn P. Cassian bereits in seinen ersten Ordensjahren als höchstes Ziel seiner Wünsche sich ersehnt hatte.
(Aus: die katholischen Missionen, 1906)