Aussätzigenheim der Salesianer, Agua de Dios, Kolumbien:
Das schönste Fest im ganzen Jahr ist der Fronleichnamstag. Mit ihren letzten Kräften mühen die Armen sich ab, ihre Hütten und Häuser so prächtig als möglich zu schmücken. Das Beste, was sie haben, muss zur Zierde dienen: bunte Tücher, Blumen und Palmzweige. Aber auch der innere Schmuck wird nicht vergessen. Stets gehen am Fronleichnamstag gegen 800 Bewohner der Kolonie zur heiligen Kommunion. Da die Prozession wegen der tropischen Hitze tagsüber nicht gehalten werden kann, wartet man damit bis abends fünf Uhr. Nachdem die Vesper gesungen ist, verlässt die Prozession die Kirche.
Voran schreiten die Knaben des Aloysiusvereins mit Fahne an der Spitze. Es ist aber keine frohe Jugend, die an uns vorüberzieht; mühsam auf Stöcken und Krücken schleppen die meisten sich vorwärts. Viele haben bereits große Eiterbeulen an den Füßen, anderen fehlen die Hände, wieder anderen ist das Gesicht bis auf die Knochen zerfressen. Den Knaben folgen die Hijas de Maria (Jungfrauenverein), dieselben Jammergestalten. Alle sind weiß gekleidet und tragen die Medaille der Unbefleckten am blauen Band. Barmherzige Schwestern begleiten ihren Zug. Ihnen schließen sich die Mädchen des Asyls an – alles Kranke. Jetzt kommen die Hermanos und Hermanas de San José (St. Josephsbruderschaft). Sie haben sich unter den Schutz des Patrons vom guten Tod gestellt. Der Tod steht auch fast allen im Antlitz geschrieben. Mehr als einer droht vor Ermüdung schon hier zusammenzubrechen, und mancher Schmerzensseufzer unterbricht ihre Gebete, aber sie wollten unter keinen Umständen darauf verzichten, dem Heiland den Ehrendienst zu leisten. Ihnen schließt sich die Sakramentsbruderschaft an; alle Mitglieder tragen brennende Kerzen. Nun kommt der Sängerchor, gebildet aus aussätzigen Knaben, und dann naht das Allerheiligste, getragen von einem Aussätzigen, dem Salesianerpriester Santinelli. Das Gesicht des Kranken ist schon von der Seuche entstellt, nur aus seinen Augen blitzt noch ungebrochene Tatkraft. Ihn begleiten zwei andere, ebenfalls aussätzige Priester und einige Ordensleute im Chorrock. Eine Musikkapelle, die sich aus aussätzigen Knaben und Männern zusammensetzt, bringt dem Erlöser ihre Jubelweise dar. Hinter den Musikern schreiten die Hijas de los Sagrados Corazones, die Töchter der heiligsten Herzen, eine kleine Ordensgemeinschaft, die mit Ausnahme von zwei Schwestern aus Aussätzigen besteht. Ihres eigenen Zustandes vergessend, widmen diese großmütigen Frauen sich ganz dem Dienste ihre Leidensgefährten. Ihnen folgt das Volk, das keiner Bruderschaft angehört. Den Abschluss der Dulderprozession bildet eine Anzahl Wägelchen, in denen Kranke liegen, die nicht mehr imstande sind sich vorwärts zu bewegen. Gesunde oder weniger Kranke fahren sie dem Zuge nach. Aber nicht alle besitzen ein Wägelchen. Damit sie nicht ganz beim Ehrenfeste des göttlichen Heilands fehlen, lassen sie sich vor die Hütte tragen und erwarten dort auf Matten liegend den Vorbeizug des Herrn.
Fünfviertel Stunden braucht die Prozession, um ihren Weg zurückzulegen. Ergreifend und entsetzlich zugleich ist der Anblick, wenn an einer der vier Stationen der Segen gegeben wird. Da liegen vor dem Altar gegen 2.000 dieser Ausgestoßenen. Schrecklich ist das Elend. Oft sind die Augen das einzige Gesunde an dem ganzen Menschen, und diese sind dazu noch mit großen Schutzbrillen verdeckt. Der Geruch der eiternden Wunden und faulenden Glieder ist so furchtbar, dass man Rauchwerk anzünden muss. Und doch hört man kein Wort der Ungeduld und des Haders. Es ist ein großes Dulden und Ertragen. Wer gibt den Armen die Kraft? Ist es nicht der Freund der Aussätzigen im Sakrament?
(Aus: die katholischen Missionen, 1914)