Pater Joseph Fräßle S.C.J. berichtet aus seiner Mission im Kongo (in Afrikanische Missionsgeschichtlein, Band I., 1926) :
Krüppel findet man bei unseren Eingeborenen selten, weil sie dieselben gleich nach der Geburt wegwerfen. Einer heidnischen Mutter in Basajo war es trotz allem geglückt, ihr krüppelhaftes Kind zu verstecken und am Leben zu erhalten; der Vater war zudem bald nach seiner Geburt gestorben; es bestand keine Gefahr mehr für des Kindes Leben.
Diesem armen Mädchen standen die Füße nach innen, die Arme nach rückwärts, als wären sie verkehrt eingesetzt; auch waren sie in den Ellenbogen steif, und die Händchen hatten nur zwei bzw. drei Finger. Das Kind konnte also die Hände nicht zum Gesicht erheben, keine Nahrung zum Munde führen; es faltete die Hände auf dem Rücken, nicht vor der Brust.
Man kann sich denken, wie bei wilden Heiden ein solches Wesen das Gespött der bösen Kinder war, wie es überall fortgejagt und geschlagen wurde. „Eine böse Hexe bist du, ein ganz abscheuliches Tier; wir werden dich schon einmal umbringen!“ So rief man ihm überall zu. Wie hat es oft tagelang bitterlich geweint, wochenlang im Dunkel der Hütte seiner Mutter sich verborgen.
Da brachte ich den christlichen Unterricht nach Basajo. Das Mädchen lauschte auf, als es hörte, Gott schaue nicht auf die äußere Gestalt des Menschen, sondern beurteile sie nach ihrem inneren Wert, der allein ihr ewiges Los bestimmt. Das war eine frohe Botschaft für das krüppelhafte Kind. Keinen Tag fehlte es im Unterricht, bis es durch die heilige Taufe den schönsten Seelenschmuck der Gnade und Gotteskindschaft sich erworben hatte. Glück und Frieden waren jetzt in sein Herzchen eingezogen. Es hieß von der hl. Taufe ab Thereschen.
Seelenschönheit zu erhalten und zu vermehren war von da ab des Kindes Streben. Je mehr die Menschen es „abscheuliche Kreatur“ nannten, umso mehr suchte es Gott wohlzugefallen. Und weil der Seelenadel und der Sieg über erniedrigende Begierden nur mit Hilfe der Gnade gelingt, betete das Kind nicht nur tapfer zu Hause, sondern es war auch jeden Morgen um sechs Uhr schon in der 7 km entfernten Missionskirche. Selbst das schlechteste Wetter konnte es nicht von diesem Kirchengang abhalten. Aber da zwang uns höhere Anordnung, den Werktagsgottesdienst schon um halbsechs Uhr abzuhalten. Wie bitter weinte da Thereschen! „Ach nun wird sie mir geraubt, die Kraftquelle und Freude meines Lebens, nach der ich mich sehnte Tag und Nacht, die heilige Messe! Denn so früh können meine Füße den Weg nicht machen, und meine krüppeligen Hände können kein flammendes Holzscheit schwingen, mit denen andere zur Nachtzeit die Leoparden bannen!“ Dafür kniete Thereschen jeden Samstag und Sonntag stundenlang in der Kirche: sie empfing die hl. Sakramente.
Als ich es einmal unter der Kirchentür traf, frug ich: „Sag mir, Thereschen, verspotten dich die Leute immer noch wie früher?“ „Vater, Menschen, die Unglückliche verlachen, wird es immer geben. Doch ich mache mir nichts mehr daraus; bin ich doch Gotteskind! Körperschönheit ist mir zwar versagt – auch die der anderen Menschen dauert nicht. Mögen sie Zeit und Mühe darauf verlegen, um Menschen zu gefallen – ich will lieber darauf bedacht sein, wie ich Gott gefallen könne. Wie fühle ich mich doch so glücklich, seit ich weiß, dass sein Vaterauge auf mir ruht, sein Vaterherz mich liebt. Er soll von mir sprechen dürfen: da hab ich ein geliebtes Kind; an ihm habe ich mein Wohlgefallen.“
Offensichtlich half Gottes Gnade unserem Thereschen von Tugend zu Tugend zu schreiten. „Schau,“ sagte es zu mir ein anderes Mal, „früher wurde ich zornig, habe geweint oder geschimpft, wenn mich die Leute verspotteten und schlugen; jetzt aber denke ich: lass die Menschen nur spotten! Die Schönheit, auf die sie stolz sind, wird auch ihr Ende haben, vielleicht stehen sie dann noch elender da als ich, falls sie die Arbeit an ihrer Seele vernachlässigt haben. Ich schweige jetzt, suche meinen Zorn und meine Empfindlichkeit zu besiegen: jeder Sieg bringt übrigens Seelenstärke und Freude. Auch rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis zurück: Nur so viel ist der Mensch wert, als er in Gottes Augen gilt. Denke ich aber erst an unseren lieben Heiland, wie er verspottet, geschlagen und gekreuzigt worden ist, dann freue ich mich, wenn ich durch solche Leiden ihm ähnlich sein darf. Ich gebe mir Mühe, meinem Erlöser zu zeigen, dass ich ihn lieb habe: Ich schweige und dulde wie Er, und mit Ihm opfere ich meine Leiden dem himmlischen Vater auf für die Rettung der Heiden und Sünder. Kann es etwas Schöneres geben für ein Christenkind, als wenn es durch Leiden seinem gekreuzigten Heiland ähnlich ist?“