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Channel: Die auswärtigen Missionen
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Wie ein Kruzifix ein afrikanisches Dorf bewegt

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Quelle: Dr. Klaus Lambrecht

Tschiblubula ist der Mittelpunkt des blühenden Vikariats Bangaweolo im Süden von Deutsch-Ostafrika. Ein freudiges Ereignis brachte den Ort in der Karwoche 1917 in nicht geringe Erregung.
Eine mächtige Kiste war am Gründonnerstagabend auf der Mission angekommen, ein Geschenk der Katholiken von Montreal im fernen Nordamerika.
Nach der Karfreitagsmesse packte man sie aus.
Gespannt schauten die wenigen neugierigen Schwarzen zu, was wohl zum Vorschein kommen würde.
Als man das Stroh entfernte, zeigte sich das blutige, dornengekrönte Haupt des Gekreuzigten.
Mit einem Schrei des Entsetzens fuhren die Umstehenden zurück. Wie ein Lauffeuer ging’s jetzt durchs Dorf: „Der Christus ist gekommen, auf Stroh, in einer Kiste!“
In wenigen Minuten ist der Missionshof vollgepfropft mit Schwarzen. Alle wollen ihren göttlichen Mfumu (König) sehen. Unmöglich in diesem Menschenknäuel! Der Pater stellt darum das Kruzifix in einem Fenster zur Ansicht.
Jetzt wird’s ruhig. Schweigend wie in Prozession ziehen die Beschauer daran vorüber, immer wieder mit mitleidigem Blick, den Kopf schüttelnd, über die Grausamkeit der Henker, sichtlich ergriffen.
Einer schaut den Heiland an, geht, kommt wieder und verschwindet dann hinter einer Säule, dort auf den Knien den Rosenkranz zu beten. (…)
Andere lassen ihren Grimm an Judas aus, und sehr schmeichelhaft sind die Ausdrücke nicht, womit sie ihn überhäufen.
Andere denken an sich.
„Meine Sünden haben dich getötet, o mein Gott! Es ist mir leid, hab Erbarmen.“
Eine Frau schließt sich in ihre Hütte ein und weint den ganzen Tag.

Ein armes, altes Mütterchen kommt.
Man taufte es einst in Todesgefahr. „Pater“, sagt sie, „meine Augen sind fast erloschen. Von hier aus kann ich nichts sehen. Lass mich ganz nah zu meinem Mfumu kommen.“
„Komm, Mütterchen, und betrachte ihn nur.“ Ihre runzligen Wangen berühren fast die Seitenwunde. Da sieht sie die rote Farbe. „O Pater, Blut!“ sagt sie und fährt erschrocken zurück. „Schau nur zu, fürchte dich nicht.“
„Nein, nein, Pater, das ist genug. Ich hab’s gesehen: der Herr der Menschen und aller Dinge ist verwundet. Ich habe sein Blut gesehen“, ruft sie und mit Tränen im Auge streckt sie die Arme aus, wie Blinde tun, um ihren Weg zu tasten.

Solche Ergriffenheit hätte man hinter den Babemas nicht vermuten sollen. Vor 25 Jahren noch machten sie sich nichts daraus, die Leute zu verstümmeln, ihnen die Augen auszustechen, ihnen Ohren, Nase, Hände abzuschneiden. Die Berichte ihrer einstigen Raubtaten sind eine schreckliche Lesung. Aus den Wölfen sind Lämmer geworden.

Aber mit bloßen Gefühlen begnügten sich die Schwarzen in jener Karwoche nicht. Nie wurden die Ostertage in Tschilubula mit solchem Eifer begangen wie jetzt.
4000 heilige Kommunionen wurden am Ostersonntag ausgeteilt, eine hohe Zahl für die Station, die damals neben 5516 Katechumenen nur 5827 Christen in einem Umkreis von mehreren Tagereisen zählte. 

Noch größer war der Eifer der Neuchristen beim nächsten Osterfest 1918. Hören wir einige Stellen aus dem Bericht des Misisonärs:
„Einige Christen sind vier Tage weit zur Hauptstation marschiert, die von Bena Musoa kamen 100 km weit.
Die wilden Elefanten könnten zwar in ihrer Abwesenheit ihre Felder zerstören, aber „Gott ist mächtig genug“, sagen sie, „uns und unser Eigentum zu beschützen“.
In den 139 Dörfern der Station blieben nur wenige Christen zu Hause. Alle wollten ihre Ostern halten. Bei ihrer Ankunft in Tschilubula hörten die Pilger, die dortigen Christen hätten die ersten drei Tage der Karwoche täglich morgens und abends Christenlehre gehabt. Jetzt ruhten sie nicht, bis man auch für sie einen Unterricht abhielt.
„Pater“, betteln sie, „wir bitten dich, lass uns nicht im Stich. Wir sind ja deine Kinder. Sprich auch zu uns vom lieben Gott.“ 

Am Gründonnerstag ist die Kirche gedrängt voll. Den ganzen Tage knien die Gläubigen abwechselnd vor dem Allerheiligsten. Was wohl in ihrem Krauskopf vorgehen mag?
Ein altes Mütterchen kommt aus der Kirchtür.
„Mutter Elisabeth, du hast wohl viele Zerstreuungen gehabt, dass du so lang in der Kirche geblieben bist?“ meinte der Pater scherzend.
„Nein, Pater“, lautet die Antwort, „von Zerstreuungen weiß ich nichts. Ich hab nur dem Mfumu meine Aufwartung gemacht.“

Nächtliche Anbetung haben wir noch keine hier. Um 10 Uhr abends schließen wir die Kirche.
Da entdeckt der Pater Superior zwei Frauen, die sich hinter einem Pfeiler verstecken wollen. Er weist sie hinaus. „Es wird geschlossen, geht schlafen! Morgen früh könnt ihr wieder kommen.“
Aber sie bitten: „Napata Bwana— ich bitte dich, Pater, lass uns doch die Nacht hier bleiben. Wir haben das Beten nötig.“
Es sind Soldatenfrauen. Ihre Männer sind im Krieg (Anm.: erster Weltkrieg).
Ist nicht der Sergeant Tschengamafaseh trotz seines Lungenschusses mit dem Leben davongekommen, weil seine Frau, die Therese, so viel für ihn gebetet hat?
„Wir wollen den lieben Gott auch zwingen, dass er unsere Männer am Leben erhält“, sagen sie.
Zwar bleibt ihre Bitte, in der Kirche bleiben zu dürfen, ohne Erfolg, aber dafür sitzen die beiden am nächsten Morgen um 4 Uhr bereits wieder im Gotteshaus mit einer guten Anzahl von Neuchristen, um ihr gewaltsam unterbrochenes Gebet fortzusetzen.

Wenn sonst die Sonne untergegangen ist, sammeln sich die Neger um das Feuer und erzählen sich ihre Geschichten bis tief in die Nacht hinein.
Aber diesmal nicht — Tschikwekweh, der wackere Polizist von Tschilubula, ist in alle Viertel des Ortes gegangen und hat seinen Pflegebefohlenen eine Rede gehalten, die also lautete:
„Ihr alle, Leute von Tschilubula, und ihr Fremden, höret zu: Unser Mfumu ist jetzt im Leiden, und morgen wird er sterben.
Vermehrt nicht durch euren Lärm seine Schmerzen. Ihr Brüder und ihr Mütter, ihr alle, Christen und Heiden, haltet Ruhe! Ich beschwöre euch, denn unser Herr hat gelitten und ist gestorben für uns.
Besonders ihr jungen Leute, hütet euch, den Kabokeh (Tanz) zu tanzen, bevor der Herr Jesus auferweckt ist!“
Manch ein armer Heide mischt sich am nächsten Morgen heimlich unter die Christen, um auch die Füße des gekreuzigten Heilands zu küssen. „Ist er nicht auch für uns gestorben?“ sagen sie.

Am Karfreitagnachmittag ist Kreuzwegandacht. Der hochwürdigste Herr spricht dabei vom Leiden Christi und weist auf das große Kruzifix hin, das letztes Jahr aus Amerika kam, und kein Auge bleibt trocken.
Den ganzen Tage kommen die Gläubigen ohne Unterbrechung zur Verehrung des heiligen Kreuzes. Sie bringen ihre noch heidnischen Verwandten und Freunde mit und halten ihnen mit halblauter Stimme eine kleine Ansprache.
„Schau, das ist er, der für uns gelitten hat. Er ist für dich gestorben, we munsenschi, für dich, Heide. Bist du es nicht leid, ein Heide zu bleiben?
Schau doch auf seine Wunden, diesen Lanzenstich in seiner Seite! Du hast diese Nägel in seine Füße getrieben und in seine Hände. O, du hast kein Mitleid mit ihm, wenn du noch auf den Teufel hörst.“

Und die Leute kommen nicht mit leeren Händen. Die Männer geben ihr Scherflein vom sauer verdienten Trägerlohn, die Frauen bringen in ihren Körben Früchte, Mehl u. dgl. als Opfergabe. Dann kommt der Ostertag.
Zwei Priester sind 1 ½ Stunden mit dem Austeilen der heiligen Kommunion beschäftigt. 5000 Kommunionen zählt man dieses Jahr am Osterfest.
Wir Christen in Europa könnten noch mancherorts von unsern schwarzen Glaubensbrüdern lernen.

(Aus: die katholischen Missionen, 1919)


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